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Werkzeug, Material – Bewegung

Der Künstler im Dogondorf Sanga konnte keine Statuette mehr schnitzen. Sein Schleifstein war verloren. Er musste warten, bis sein Freund, der Fischer, aus der Tiefe des Nigerflusses den richtigen Stein herausgezogen hatte, mit dem der Schnitzer die eiserne Schneide schärfen würde. Nur so gelingt eine Figur, in der die Seele des Ahnherrn wohnen mag. Nur mit dem einzig richtigen Werkzeug entsteht das Kunstwerk.

Der Mann, der an der Brücke über den Sassandrafluss in der Elfenbeinküste einst die schönen Frauengestalten aus gebrannter Tonerde feilhielt, hatte dieses Jahr keine geformt. Die Trockenzeit hatte die Quelle zum Versiegen gebracht, mit deren Wasser allein der Ton so geknetet werden kann, dass meine Hände den Frauen die zärtlichen Formen, les formes tendres, geben, die du so bewunderst». Liegt es am richtigen Material, ob ein Kunstwerk gelingt, oder ist es nur in Afrika so?
Die Batiktüchlein, die unsere Freundin in Lombok, der Zwillingsinsel von Bali, für uns fertigen wollte, sind diesmal misslungen, statt der wundervoll leuchtenden Farben nur blässliche Schlieren. Die Kräuterfrau, die aus Blüten und Rinden von den Hängen des Vulkans farbige Tinkturen presst, war von ihrer Pilgerfahrt nach Mekka nicht zurückgekehrt. Es ist, so dachte ich, doch nur das echte Material an diesem einen Ort, aus dem die Künstlerin den Zauber der Farben gestalten kann.

Wie verhält es sich bei Manù? In einem Laden im Zürcher Dörfli ist alles zu haben, Werkzeug, Pinsel, Spachteln, Papiere und Leinwand aus aller Welt, ist Material, sind Kreiden, Aquarell- und Ölfarben aller Zeiten zu kaufen. Wie wählt sie die richtigen Stifte und Pinsel?

Diese Gegenstände sind nicht ihr Werkzeug; das ist allein ihr Blick. Ihr Material, das ist nicht Papier, Leinwand und Farbe. Das sind die Menschen, die sie zeichnet und malt. Wenn ihr Blick stumpf werden könnte an den vielen Mattscheiben, den spiegelnden Vitrinen, den glatten Fassaden, schärft sie ihn am Anblick fremder Welten. Das andere Licht, jedes neue Land macht die Augen wieder frisch. Jedes Antlitz, dem sie begegnet, verändert ihren Blick; der veränderte Blick macht aus den Objekten ihrer Bilder das Material, das sie gestaltet. Ein fremdartiges Antlitz wird uns vertraut, der Blick verrät sein Geheimnis; die Farben entstehen in steter Veränderung. Schon ist sie an einem anderen Ort und wird bewegt von dem, was sie sieht. Wir staunen, wie mühelos sie sich weiterbewegt. Oder ist sie bereits eine andere geworden und wir müssen ihr folgen, weil ihre Bilder uns mitziehen?

Ganz anders als bei den Künstlern der Tropen ist Manùs Kunst Bewegung. Noch in der stillstehenden Gestalt, im ruhigsten nach innen gekehrten Ausdruck nehmen wir die Bewegung wahr. Manùs Kunst ist Bild gewordener Tanz.

Paul Parin

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